Fotografien aus Israel:
Boris Carmi
Zur Ausstellung
Der in Russland geborene Boris Carmi ist einer der Pioniere des israelischen
Fotojournalismus.
Sechs Jahrzehnte lang, seit den 1940er Jahren, dokumentierte
er Leben und Gesellschaft des zerrissenen Landes mit menschlichem Blick und
verfolgte die turbulenten Phasen der Staatsgründung und Staatsentwicklung.
1930
verließ er Moskau, sein Weg führte ihn über Warschau, Saalfeld/Deutschland und
Italien nach Paris, wo er an der Sorbonne Ethnographie studierte und zu
fotografieren begann. Von Paris ging er 1936 nach Danzig, wo er drei Jahre auf
seine Einreisegenehmigung wartete, bis er 1939 an Bord eines Zitrus-Frachters
nach Palästina einwandern konnte. Dort arbeitete er zunächst als Obstpflücker
und Lagerarbeiter, bis er sein Interesse für Fotografie zum Beruf auszubauen
begann.
Der Autodidakt Carmi war der erste Fotograf der israelischen Armeezeitung und
dokumentierte den Unabhängigkeitskrieg 1948 mit eindrucksvollen Fotografien, die
heute in Israel zu Ikonen der kollektiven Erinnerung geworden sind. Er arbeitete
für israelische Zeitungen und Zeitschriften, und seine stillen Bilder berichten
von den enormen Herausforderungen, denen das junge Land ausgesetzt war. Die von
ihm – inmitten aller Konfrontationen – fotografierten Gesichter erzählen von
Entwurzelung und Neuanfang, Aufbauwillen und Zukunftsangst. Seine Fotografien
vermitteln bis heute das Lebensgefühl der Menschen in einem Staat auf der Suche
nach Identität und Normalität.
Seine Arbeiten werden ab Mai 2004 in der Akademie der Künste erstmals als
Einzelausstellung außerhalb von Israel zu sehen sein. Die Ausstellung zeigt
Fotografien aus der turbulenten Phase der Staatsgründung, des beginnenden
Krieges mit den Arabern, der Massen-Einwanderung aus aller Welt und der
Wirtschaftskrise, aber auch Porträts von Künstlern und Politikern sowie
Momentaufnahmen aus Israels Alltag und der Entwicklung der Stadt Tel Aviv.
Boris Carmis individuelle Bildsprache setzt sich ab von der offiziellen Politik
der zionistischen Bewegung und der damaligen israelischen Regierung, die in
diesen Jahren das Motiv der ‚Ankunft’ und das Ideal des ‚Neuen Menschen’ in den
Vordergrund stellte. Besonders charakteristisch dafür sind die Fotografien aus
den frühen Jahren des Staates und der Massen-Alyia im ersten Jahrzehnt nach der
Staatsgründung. Boris Carmi begleitete die verschiedenen Einwanderungswellen mit
seiner Kamera und war fasziniert von den unterschiedlichen Lebenswelten und
Geschichten, die er in den Auffanglagern für Neuankömmlinge fand. Carmi, selbst
einmal ein Neueinwanderer gewesen, fotografierte mit viel Einfühlungsvermögen
die biographischen Tragödien und die Verletzlichkeit der Einwanderer von Bagdad
bis Berlin, ihre Zerrissenheit zwischen Abschied und Neuanfang. Menschen mit
Koffern und Kisten, auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Carmi hat dabei alle
Stationen der Menschen im Übergang von der alten zur neuen Heimat dokumentiert:
die Ankunft der Schiffe im Hafen von Haifa, das große Auffanglager am Fuße des
Carmel Gebirges, die hastig improvisierten Durchgangslager und schließlich die
neugegründeten Siedlungen und Entwicklungsstädte, die angesichts der akuten
Wohnungsnot gebaut wurden. Boris Carmi war einer der wenigen aktiven Fotografen,
der diese wichtigen Momente der entstehenden Nation festhielt. Der von Carmi
dokumentierte Weg zu einem neuen Staat prägt für die Israelis bis heute das
visuelle Abbild der ersten Dekade des Staates. Sein Blick wanderte von einem
Ende des Landes zum anderen: er dokumentierte anonyme Helden, aber auch
Persönlichkeiten aus dem politischen und kulturellen Leben, die maßgeblich zum
Aufbau des Landes beigetragen haben.
Dieses Panorama israelischer Geschichte, gesehen durch die Augen von Boris Carmi,
gewährt Einblicke in längst vergangene Lebenswelten. Er war Entdecker und
Erzähler zugleich. Mit seiner Empfindsamkeit gegenüber dem ‚Hier und Jetzt’
rettete er Szenen vor dem Verschwinden und vermittelt uns bis heute das
Lebensgefühl einer ganzen Generation. Darüber hinaus besitzen seine Fotografien
etwas Universelles. Carmi sagte über sich selbst, dass er nichts Hässliches oder
Unästhetisches fotografieren könne und bezeichnete seinen Stil als
"optimistisch". Voller Beobachtungslust suchte er in den Wirren der
Staatsgründungsjahre nach dem "ästhetischen und humanistischen Aspekt". Seine
Fotografien dokumentieren die unmittelbar menschliche Perspektive - quer durch
alle sozialen Schichten. Boris Carmi fotografierte bis kurz vor seinem Tod im
September 2002.
Photographs from Israel:
Boris Carmi
The Exhibition
Boris Carmi (b.1914, Moscow–d. 2002, Tel Aviv) is regarded as the founder of
Israeli photojournalism and documentary photography.
Leaving Moscow in 1930, he
went to Warsaw first of all, then to Germany and Italy before finally reaching
Paris where he studied ethnography at the Sorbonne and took up photography. In
1936, he left Paris for Gdansk where he spent three years waiting for an entry
permit to Palestine. In 1939, on board a citrus freighter, he immigrated to
Palestine where he first worked as a fruit picker and warehouseman until he made
a profession out of his interest in photography.
For over 60 years, the self-taught Carmi followed the history of Israel with his
camera, including the turbulent period of the state’s foundation and growth. He
was the first photographer on the Israeli Army newspaper and, in 1948, recorded
the War of Independence in impressive images that in Israel are now icons of
collective memory. Working for Israeli newspapers and journals, he made quiet
pictures of the enormous challenges faced by the young country. The faces he
photographed tell of uprooting and new beginnings, determination to construct
the new state and fear for the future. Never siding with any one party, Carmi
instead explores the attitudes of the men and women living in a state that was
searching for an identity and a sense of normality.
From mid-May 2004, the Akademie der Künste in Berlin will host the first solo
presentation of Carmi’s work outside Israel. Being held under the patronage of
the German President, Johannes Rau, and the Israeli President, Moshe Katzaw, the
exhibition makes use of the late photographer’s large private archive that is
now managed in Tel Aviv by his son. It will show photographs taken in the years
following the foundation of Israel, in particular images of the 1948 War of
Independence, the waves of immigrants arriving in the country from across the
world, the reception camps established to house them, construction work in the
1950s and ‘60s, and the 1956 Sinai Campaign as well as images of everyday life
in Israel and the growth of the city of Tel Aviv.
Boris Carmi’s imagery was very much his own and it contrasted with the official
line of the Zionist movement and of the Israeli government of the day that
stressed the theme of "arrival” and the ideal of a heroic "new Jew”. Typical
examples of his work are the pictures from Israel’s early years. With great
sensitivity, Boris Carmi photographed the personal tragedies and the
vulnerabilities of immigrants from all over the world, from Baghdad to Berlin,
and the inner conflict they experienced at having said goodbye to their past and
the prospect of an uncertain future. As his gaze ranged across the country from
one end to the other, Carmi photographed unknown heroes as well as personalities
from the world of politics and the arts who all made major contributions to the
construction of the country.
This panorama of Israeli history, as seen through the eyes of Boris Carmi, gives
us an insight into a world that is now long gone. The photographer was both a
discoverer and a narrator. Sensitive to the "here and now”, he preserved events
from oblivion. To this day, his work conveys the outlook of a whole generation;
beyond that, however, it also possesses a universal quality. Speaking of himself,
Carmi said that he could photograph nothing ugly or unaesthetic, and described
his style as "optimistic”. Delighting in his status as an observer, he sought
out the "aesthetic and humanist” aspects amid the confusion of the years
following Israel’s foundation; in an immediate and direct way, his work records
the human angle – and every level of society. Boris Carmi continued to
photograph until shortly before his death in September 2002.
BORIS CARMI
Fotografien aus Israel
Jüdisches Museum
12. Oktober bis 30. Dezember 2005
40 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland – Israel
25 Jahre Städtepartnerschaft Frankfurt am Main – Tel Aviv
Boris Carmi (1914–2002) ist ein Pionier des israelischen Fotojournalismus. Sechs
Jahrzehnte lang dokumentierte er Leben und Gesellschaft des zerrissenen Landes
und verfolgte die turbulenten Phasen der Staatsgründung und Staatsentwicklung.
Carmis eindrucksvolle Bilder sind heute zu Ikonen der kollektiven Erinnerung
geworden und vermitteln bis heute das Lebensgefühl in einem Staat auf der Suche
nach Identität und Normalität. Neben Momentaufnahmen aus Israels Alltag sind
auch Fotografien der Entwicklung der Stadt Tel Aviv zu sehen. – Idee und
Konzeption: Alexandra Nocke.
Begleitpublikation mit deutschem und englischem Text:
Boris Carmi : photographs from Israel ; [on the occasion of the Exhibition
"Boris Carmi - Fotografien aus Israel" held at the Akademie der Künste, Berlin
from May 15 through June 27, 2004] / ed. by Alexandra Nocke. With contributions
by Yoram Kaniuk, Alexandra Nocke, and Joachim Schlör. [Hebrew transl.: Ulrike
Harnisch. Engl. transl.: Elizabeth Clegg]. - Munich ; Berlin ; London ; New York
: Prestel, 2004. - 111 S. : überw. Ill. ; 31 cm. - ISBN 3-7913-2933-2
Im Rahmenprogramm zur Ausstellung findet am Sonntag, dem 16. Oktober 2005, 18
Uhr, ein Kammerkonzert mit Werken von Bernhard Sekles, Theodor W. Adorno und
Paul Ben-Haim statt, ausgeführt vom Chagall Quartett unter Leitung von Marat
Dickermann.
Geöffnet: Di - So sowie 26. Dezember 10 -17 Uhr, Mi 10 - 20 Uhr
Geschlossen: Mo und am 13. Oktober (Jom Kippur) und 24./25. Dezember
Kostenlose öffentliche Führung: So 15 Uhr
Boris Carmi - Fotografien aus Israel
15. Mai bis 27. Juni 2004
Pressefotos - Zum Herunterladen klicken Sie
bitte auf das entsprechende Bild.
Kostenfreie Verwendung der Fotos ausschließlich zur Berichterstattung.
Belegexemplar erwünscht.
135car.tif
Schuhe, von einem
ägyptischen Soldaten
zurückgelassen, Sinai, 1956
110car.tif
Nacht in Jaffa, 1952
139car.tif
Konrad Adenauer
(Bundeskanzler 1949-1963)
während seines kontroversen
Besuches in Israel der von
Protestkundgebungen gegen das
"Entschädigungsabkommen"
begleitet wurde, im Hintergrund
der erste Staatspräsident Israels,
Chaim Weizmann, 1966
108car.tif
Strandpromenade im Winter,
Tel Aviv, 1953
099car.tif
Bauer in Sichon Ya’acov,
1960er Jahre
023car.tif
In einem Kolonialwarenladen zu Zeiten der Lebensmittelknappheit, Tel Aviv,
1950er Jahre
109car.tif
Winter in Tel Aviv, 1950er Jahre
076car.tif
Unabhängigkeitstag,
Parade in Tel Aviv, 1950
046car.tif
Givati Kavallerie Brigade im Unabhängigkeitskrieg, bei Gadera, 1948
045car.tif
Palmach Treffen im Wald bei
Ben-Shemen, 1948
038car2.tif
Neueinwanderer, 1950er Jahre
035car.tif
Jemenitische Frau trägt
traditionelles Make-up auf, Durchgangslager 1950er Jahre
026car.tif
Alter jemenitischer Goldschmied, späte 1950er Jahre
024car.tif
Ma’abera - Zelte in einem Durchgangslager, 1950er Jahre
© für
Straßenschild bei Nahal Oz, 1954: Alexandra Nocke (Berlin)
© für alle anderen Abbildungen: Kobi Carmi (Tel Aviv)
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