Haus Freudenberg
I. BIOGRAFIE VON
HERMANN MUTHESIUS
Hermann Muthesius wurde 1861 in Großneuhausen in Thüringen als Sohn eines
Maurermeisters und Bauunternehmers geboren.
Bis zu seinem vierzehnten
Lebensjahr besuchte er die Volksschule und wurde nebenher vom örtlichen Pfarrer
in Sprachen unterrichtet. Von seinem Vater erlernte er zunächst das
Maurerhandwerk, um nach Abschluß der Lehre und einem Vorbereitungskurs die vier
oberen Klassen des Realgymnasiums in Leipzig zu besuchen. Nach Abschluß der
Schule studierte er neben seinem Militärdienst zunächst ein Jahr an der
Friedrich-Wilhelm Universität in Berlin Kunstgeschichte und Philosophie, um dann
an die Technische Hochschule zu wechseln, an der er bis 1887 Architektur
studierte. Nebenher arbeitete er bei Paul Wallot, dem Erbauer des Reichstages,
der großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Nach dem erfolgreichen Abschluß seines
Studiums ging Muthesius als Angestellter einer großen Baufirma für dreieinhalb
Jahre nach Tokio. Selbständig hatte er dort nur eine neugotische Kirche für die
evangelische Gemeinde errichtet.
Nach der Rückkehr, die
mit einer viermonatigen Asienreise verbunden war, legte er 1891 seine zweite
Hauptprüfung für den Staatsdienst im Hochbau ab, mit der er eine Beamtenlaufbahn
einschlug und zunächst als Regierungsbaumeister in einem ministeriellen
Entwurfsbüro tätig wurde.
Nachdem er ein Jahr lang stellvertretend die Schriftleitung bei den
halbamtlichen preußischen Zeitschriften Zentralblatt für Bauverwaltung und
Zeitschrift für das Bauwesen übernommen hatte, wurde er 1896 bis 1903 als
technischer Attache für Architektur der deutschen Botschaft in London zugeteilt.
Dort verfaßte er im amtlichen Auftrag zahllose Berichte über englische
Architektur, Kunstgewerbeerziehung, Ausstellungen und auch ingenieur-technische
Neuerungen, die überwiegend im Zentralblatt der Bauverwaltung veröffentlicht
wurden. Zugleich entwickelte er eine umfangreiche publizistische Tätigkeit, zu
der neben zahlreichen Artikeln in einschlägigen Kunstzeitschriften die berühmte
Schrift Stilarchitektur und Baukunst gehört. Das Hauptwerk dieser Zeit sind
jedoch drei umfangreiche Werke über englische Baukunst, von denen das
bekannteste "Das englische Haus wurde. Nach seiner Rückkehr erhielt Muthesius
einen Ruf an die Technische Hochschule in Darmstadt als Professor für
Kunstgeschichte, den er jedoch ablehnte, um als Geheimrat in das preußische
Handelsministerium zu wechseln, wo ihm bis zu seiner Pensionierung 1926 die
Reform der Kunstgewerbeschulen oblag. Nebenher hat er als Architekt eine
umfangreiche Tätigkeit entfaltet, wobei er überwiegend durch seine Landhäuser
bekannt wurde.
Aus einem 1907 gehaltenen
Vortrag an der Berliner Handelshochschule entwickelte sich ein Skandal, der als
"Fall Muthesius berühmt wurde und nach Protesten des wirtschaftlichen
Interessenverbandes des Kunstgewerbes in einer mit Muthesius solidarischen
Gegenbewegung die Gründung des Deutschen Werkbundes auslöste. 1908 wurde er als
Mitglied in den Vorstand gewählt und hatte von 1910 bis 1916 dort das Amt des
zweiten Vorsitzenden inne.
Mit seiner Einflußnahme
auf die Kölner Werkbundausstellung von 1914 als auch seinem dortigen Vortrag
"Die Werkbundarbeit der Zukunft entfachte er einen Proteststurm der Künstler,
der als "Typenstreit berühmt wurde und den Werkbund an den Rand einer Spaltung
brachte. Nach dem Krieg hat Muthesius zwar noch eine große Zahl vorwiegend
klassizistischer Häuser gebaut und einige Bücher veröffentlicht, war aber in
Anbetracht der neueren Entwicklungen der Architektur zum außenstehenden
Beobachter geworden.
Muthesius starb im Oktober 1927 bei einer
Baustellenbesichtigung durch einen Straßenbahnunfall.
II. ZEITBEZUG
Während zu Beginn des
19.Jahrhunderts gerade 25 % der Bevölkerung in Städten mit mehr als 2.000
Einwohnern lebten, entwickelte sich Berlin zum größten Industriezentrum
Deutschlands mit mehr als 1,59 Millionen arbeitswilligen Menschen. Die
ehemaligen Randgemeinden Berlins wurden unter den wohlhabenden Bürgerschichten
durch die ständig größer werdende Mobilität (Eisenbahn und Automobil) immer
attraktiver. Daher setzte auch in Zehlendorf zu dieser Zeit eine rege
Bautätigkeit ein.
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts befand sich Deutschland auf dem Höhepunkt der
industriellen Revolution, belegte mittlerweile Platz zwei in der Welt, sowohl im
Bereich der Industrieproduktion, als auch im Außenhandel. Kolonien im Ausland,
der Blick auf fremde, für die Wirtschaft noch zu erschließende Märkte prägten
das Bild. Ein unerschütterlicher Glaube an ewig wachsenden Fortschritt und sich
immer weiter steigernden Wohlstand bestimmten die Geisteshaltung der "Bourgoisie.
Die soziale Oberschicht, Banker und Industrielle, genossen das Leben in vollen
Zügen, das Haus Freudenberg ist nur ein Beispiel für großartige Häuser auf
höchstem künstlerischen und handwerklichen Niveau aus dieser Zeit.
Die immer dynamischeren
Veränderungen in der Gesellschaft spiegelten sich auch im Haus Freudenberg
wieder. So fanden sich einerseits traditionell angeordnete Räume in einem
repräsentativen Erdgeschoss (mit Anleihen zur "Belle Etage), andererseits
nahmen die persönlichen Ansprüche und Vorstellungen (z.B. Kinderbereich und
Südausrichtung) direkten Einfluss auf die Architektur und erzeugten so auch
Abweichungen von damals üblichen Vorstellungen.
Hermann Muthesius, der stark von den Ideen und der Philosophie "Arts and
Krafts beeinflusst wurde, brachte dieses Ideengut nach Deutschland. Er
verlangte von einem guten Gestalter (Architekten) mehr als die Beherrschung
seines Handwerks - er wollte ihn in die industrielle Produktion integrieren, um
die Qualität der Industrieprodukte zu heben. Eine weiterführende Idee war die
Verschmelzung von Industrieprodukten, handwerklichem Können und qualitativ
hochwertiger Architektur, um den höchstmöglichen Standard in der Architektur zu
gewährleisten. Muthesius bezieht sich mit dem Haus Freudenberg in der
Formensprache auf "the orchard in Chorleywood. So ist der Einfluss des
Architekten Charles Francis A. Foysey direkt am Haus ablesbar, jedoch hat es
Muthesius verstanden, trotz des Einflusses eine eigenständige Architektur zu
entwickeln. Muthesius gelang es, ein für die damalige Zeit schlichtes,
übersichtliches und trotzdem anspruchsvolles Haus zu realisieren.
Wenn "the orchard als
Vorläufer der Moderne in England betrachtet wurde, so kann dies im übertragenen
Sinne für das Haus Freudenberg in Deutschland gelten.
III. UMGEBUNG
Das Gebäude liegt in Bereich des heutigen Stadtteils Berlin-Zehlendorf, auf
ungefähr dem halben Wege zwischen der Innenstadt und Potsdam. Der Bezirk
Zehlendorf ist von einer dynamischen Verstädterungsentwicklung ab Mitte des
letzten Jahrhunderts geprägt. Zehlendorf wird bis heute geprägt durch viel Grün
und durch eine Bebauung, die hauptsächlich von Einzelhäusern bestimmt wird.
Lediglich entlang der Hauptverkehrsstraßen sind verdichtete Wohnformen zu
finden. Auch sind heute die für die sechziger und siebziger Jahre typischen,
mehrgeschossigen Wohnbauten des Funktionalismus vorhanden, die in Teilen
Zehlendorfs die Gesamterscheinung des Stadtteils leider auch negativ
beeinflussen.
Der Nikolassee ist einer der attraktivsten Punkte (Naherholung) in Bezirk
Zehlendorf. Ursprünglich war der Nikolassee fast vollständig von Wald umgeben,
was die Attraktivität der umliegenden Seegrundstücke enorm erhöhte. Eine sehr
eingeschränkte Gruppe von sehr finanzkräftigen Bauherren bebaute daher diese an
den See angrenzenden Gebiete.
Die Brüder Freudenberg und Muthesius kauften kurz nach der Jahrhundertwende
ein 3,5 ha großes, am Hang zum See gelegenes Grundstück. Die Größe des
Grundstücks erlaubte es, eine für Berlin verhältnismäßig großzügige Anordnung
der Gebäude auf der gemeinsam erworbenen Parzelle vorzunehmen.
Ein entscheidendes Kriterium war für Hermann Muthesius, die Gebäude
harmonisch entlang der sich natürlich ergebenden Höhenlinien des abfallenden
Geländes in die Umgebung einzupassen. Die hinter und neben den Häusern liegenden
dunklen Kiefernwälder wurden von Muthesius bewusst in die optische Planung der
Häuser miteinbezogen, um ihre Ausstrahlung zu erhöhen.
Teil 2
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