Mirjam Walter:
Die Themen kommen aus den Flecken zu mir
Von Lisa Yehuda
An einem müßigen Sonnabend Anfang Juli, besuchten wir Freunde
in Herzeliya, die das Haus Bekannter hüteten. Die Bekannten waren gerade in
Holland und unsere Freunde sahen in der Zwischenzeit nach dem vereinsamten Hab
und Gut. Das Haus war geräumig und Licht durchflutet, der Garten schattig und
das kleine Atelier vollgestopft mit Ölbildern. Ölbildern, die die Hausbewohnerin
mit Schwung und Liebe auf die Leinwand gebracht hatte. Die Frau, die soviel
Lebendigkeit in Farbe und Form auszudrücken wusste, musste ich unbedingt
kennenlernen.
Und so befand ich mich ein paar Wochen später erneut auf dem Weg
nach Herzeliya. Eine lächelnde Frau öffnete mir die Tür, die ich ohne zu zögern
auf schmeichelnde 65 Jahre geschätzt hätte. Doch sie war im Jahre 1927 geboren
worden und demnach 77 Jahre alt.
Mirjam Walter (geb.Emanuel), so heißt sie, kam als zweites Kind
einer jüdischen Mittelstandsfamilie in Amsterdam zur Welt. Ihre frühe Kindheit
verbrachte sie - wie es allgemein den Sprösslingen stabil situierter Familien zu
jener Zeit vergönnt war unbehelligt von den Sorgen und Nöten des
erbarmungslosen Existenzkampfes zwischen zwei Weltkriegen.
Als Mirjam 13 Jahre alt war, veränderten sich diese harmonischen
Lebensumstände abrupt. Die Deutschen besetzten Holland im Mai 1940 und mit ihnen
kam die systematische Erfassung, Registrierung und Deportation der holländischen
Juden.
Im Leben der Familie Emanuel war nichts mehr wie es vorher war.
Selbst wenn man schon vor dem Frühjahr 1940 die Nachrichten aus Deutschland und
dem Osten mit Schrecken verfolgt hatte, wurden die sich täglich verstärkenden
Restriktionen und Repressalien nun am eigenen Leibe fühlbar. Zwei Jahre lebte
die Familie in Ungewissheit vor dem nächsten Tag und musste mitansehen, wie
jüdische Gemeinden und Familien allmählich zusammenbrachen und verschwanden.
Im November 1942 schließlich wurden die Grosseltern deportiert
und das lähmende Entsetzen schlug in Trauer um, die zum Handeln zwang. Dem Vater
hat die Familie ihr Überleben zu verdanken. Er vertraute weder darauf, dass ihm
und der Familie sein Eisernes Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg zu 'milderer'
Deportation nach Theresienstadt verhelfen würde, noch hing er so sehr an seinem
Besitz, dass es ihm unmöglich schien, diesen aufzugeben. Und so tauchte die
Familie unter.
Die Eltern und der Bruder fanden Versteck im in weiser
Voraussicht gemieteten Wochenendhäuschen und Mirjam wurde zu einer
Montessori-Lehrerin nach Armersfoort gegeben, wo sie zusammen mit sieben
weiteren Kindern lebte und lernte. Nach anderthalb Jahren, als ihr alter
Aufenthaltsort zu gefährlich wurde, kam sie zu ihren Eltern ins Versteck im
Grünen, wo die Familie nur knapp dem engen Netz der Kollaborateure entging, die
die jüdischen Verstecke umspitzelten.
Der Krieg war schließlich zu Ende, die Deutschen besiegt und die
Familie konnte das Leben in Angst vor dem Entdecktwerden hinter sich lassen. Sie
hatte alles verloren, kam jedoch als eine der wenigen jüdischen Familien mit
Eltern und Kindern heil durch den Krieg.
Die Familie mietete ein Zimmer in Amsterdam und für Mirjam begann
die Zeit der Eingewöhnung in den neuen Alltag. Mit Achtzehn musste sie drei
Jahre Isolierung von der Außenwelt aufholen und war dazu gezwungen mit naiven
und ahnungslosen Fünfzehnjährigen die Schulbank zu teilen. Sie hatte mit
Gefühlen der Einsamkeit und Unverstandenheit zu kämpfen, die sich erst gaben,
als sie nach bestandenem Examen an der Vorausbildung für Israel teilnahm. Dort
begegnete sie Gleichaltrigen, die Gleiches erlebt hatten und bereit waren, sie
anzunehmen wie sie war.
Die zionistische Idee, die schon vor Kriegsbeginn in ihrer
Familie populär gewesen war, wurde immer mehr zu einem zentralen Thema in
Mirjams Leben und der Entschluss nach Israel zu gehen, war eine Entscheidung,
beeinflusst von dem Schrecken, den sie durchlebt hatte und dem Traum, den sie
von Israel träumte.
Mit der Aliyah Bet wanderte Mirjam über Belgien und Südfrankreich
nach Israel aus und kam ins Flüchtlingslager Atlit. Die Aufnahmeprozedur dauerte
nicht lange und sie konnte das Lager in Richtung Kibbutz Galed verlassen.
Der Rest ist schnell erzählt. Im Kibbutz Galed lebte sie drei
Jahre, heiratete, bekam zwei Kinder, half mit, einen Wald zu pflanzen und
arbeitete in allen möglichen Berufen. Sie zog in einen Vorort von Netaniya wo
sie zehn Jahre lebte und viel malte. Danach wählte sie Beit Yizhak als Wohnort
und nach der Scheidung ihrer ersten Ehe ging sie nach Haifa, wo sie ein Jahr
blieb. Schließlich kam sie nach Kfar Shmaryahu, wo sie bis heute lebt und
arbeitet.
Das ist also kurzgefasst der Lebensweg dieser lächelnden Frau,
die mir die Tür öffnet, mich hereinbittet und mir umstandslos das Gefühl gibt,
ich sei bei Freunden. Wieder habe ich die Gelegenheit ihre Bilder auszuschauen
und wieder bin ich begeistert von der Lebendigkeit der Farben, ihrem großzügigen
Spektrum und der selbstverständlichen Harmonie, die sie trotz reichlicher
Anwendung innehaben.
Schon im Alter von neun oder zehn Jahren hatte sie angefangen zu
malen und das Talent, das sie mitbrachte, wurde systematisch geschult. Der
Bildhauer J. Wertheim und die Malerin G. Kots nahmen sie als Dreizehnjährige in
die Lehre und schärften ihr räumliches und farbliches Empfinden. Kombiniert mit
einer feinen Auffassungsgabe entstanden so schon im frühen Jugendalter naturnahe
Stilleben und detaillierte Portraits.
Nach der Aliyah lernte sie weiter und wieder bei einer Malerin,
diesmal bei Margit Barezky. Die getreue Wiedergabe der Wirklichkeit wandelte
sich allmählich zum Mut zu freimütigeren Kompositionen. Die allgemeine
Atmosphäre des Bildes wurde wichtiger als das Detail. Und so entstanden Bilder
aus dem Gedächtnis, nicht aus der Betrachtung und der Stil der Erwachsenen
Mirjam Walter-Emanuel wurde abstrakter.
Betrachtet man ihre späteren Bilder so überzeugt
unmissverständlich deren Atmosphäre, eine Aussage verdichteter Definiertheit,
wie es eben auch Erinnerungen eigen ist, die uns eine Landschaft, eine Umgebung,
einen Moment in seinem konzentrierten Wesen erhalten. Der Betrachter kann sich
innerhalb eines definierten Themenrahmens freimütig die mehrdeutigen und doch
äußerst sichtbaren Details vergegenwärtigen.
Und damit hat er die richtige Einstellung, diesen Bildern zu
begegnen. Mirjam Walter-Emanuel selbst fängt viele Bilder sozusagen mit einer
zaghaften Frage an. Die Farben werden wässrig auf die Leinwand aufgetragen und
geben durch ihren Verlauf und ihre Vermischung ein bestimmtes Thema vor, dass
die Künstlerin mit kräftigeren Pinselstrichen und dickeren Farbaufträgen
ausarbeitet. Die Phantasie bestimmt dabei die endgültige Erscheinung des Bildes.
Bei anderen Bildern wiederum ist die Erinnerung eher da, als die
Schemen auf der Leinwand und es entstehen Widerspiegelungen der Eindrücke
verschiedener vergangener Reisen und Erlebnisse. Dabei treten - trotz aller Themenbreite - unmissverständlich
Israel, seine Landschaften und Leute, in den Vordergrund. Es ist ein
beschwingtes, romantisches und besinnliches Land, das da in Bildern entsteht und
man versteht falls man es noch nicht wusste - dass es leicht sein kann, sich
gerade in dieses Fleckchen Erde zu verlieben.
Die Aquarellfarben wurden in den letzten Jahren immer häufiger
durch Öl- und Acrylfarben abgelöst, doch die Liebe zum atmosphärischen
Abstrakten und zum Model Israel blieb.
Und da Kunst dazu gemacht ist, gesehen zu werden und sehend zu
machen, fanden die Bilder verschiedener Kreativitaetsepochen Platz in diversen
Ausstellungen. Auf eine Wanderausstellung in Holland, die die Städte Den Haag,
Zoetermeer, Amsterdam, Amstelveen und Noordwijk umfasste und die Aquarelle
präsentierte, folgten Gemeinschaftsaustellungen der Ölbilder unter anderem in
Netanya, im Herzeliya Museum, in Kfar Sava, in Beit Yizhak und in Kfar Shmaryahu.
Zu den Bildern
Ausstellung im Weill Center,
24.03.-17.04.2008
Kontakt zu Mirjam Walter:
mirwa@zahav.net.il
hagalil.com 23-08-04 |