Das Recht des Bildes:
Jüdische Perspektiven in der modernen Kunst
21. September 2003 bis 4. Januar 2004
Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.
Max Horkheimer/Theodor Ardorno
Die
Frage nach dem Bilderverbot
Die jüdische Kultur wird mit der Vorherrschaft des Wortes in
Verbindung gebracht, angeblich bestimmt sie ein göttliches Bilderverbot. Es
stellt sich jedoch die Frage, wie diese Überlieferungen zu der Tatsache stehen,
daß gerade im 20. und 21. Jahrhundert die Kunstentwicklung entscheidend von
Künstlern jüdischer Herkunft geprägt ist. Schon die Bochumer Ausstellung Zen
und die westliche Kunst richtete ihr Interesse darauf, inwieweit sich gerade
bildende Künstler von einer nahezu bilderfeindlichen Lehre inspirieren ließen
-fordert doch der Zen-Buddhismus die mündliche Überlieferung von Mensch zu
Mensch, da durch Schrift und Bild eine Ablenkung vom Geistigen und Wesentlichen
befürchtet wird. Diese bewußt eng fokussierte Art der Kunstbetrachtung wird nun
fortgesetzt und die Frage nach möglichen Wechselwirkungen zwischen Religion,
Gedankengut und Weltbildern des Judentums in der Kunst von Künstlern jüdischer
Herkunft gestellt. Wie keine andere Religion ist die des Judentums auf
Geschichtserfahrung gegründet. Weitaus stärker als im Christentum durchdringen
sich religiöse und weltliche Bereiche unmittelbar.
So beleuchtet die Ausstellung die Wechselwirkungen zwischen jüdischer Kultur,
Geschichte und Kunst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Die dem
Ausstellungskonzept notwendig innewohnende historische Dimension berücksichtigt
so das von Adorno thematisierte »neue Bilderverbot«, die in seiner Zeit
empfundene »Unmöglichkeit des Bildes nach Auschwitz«. Es geht einerseits um die
Vision, mittels Kunst Normalität, Egalität und Universalität zu schaffen, und
andererseits um Versuche, jüdische Identitäten auszumachen und einem jüdischen
Selbstverständnis Form zu geben. Künstler jüdischer Herkunft bewegen sich mit
diesen Intentionen seit Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen Weltbildern, in
denen Emanzipation und Assimilation, Akkulturation und Zionismus,
Individualismus und Universalismus Spannungsfelder erzeugen. Zwar sind bildliche
Darstellungen durch das Zweite Gebot untersagt, auch die Illustration des
Thora-Textes ist durch strenge Vorschriften verboten - doch mittelalterliche
hebräische Bibelhandschriften, in einer parallelen Sonderausstellung der
Stiftung Pro Bochum zu sehen, beweisen, daß das sogenannte Bilderverbot
hinterfragt werden muß. Die hebräische Schrift besitzt ein großes ästhetisches
und ornamentales Potential; mit hohem künstlerischem Abstraktionsgrad leiten
kalligraphische Kompositionen oder der zum graphischen Element gestaltete
Schriftfluß den Leser mit dem Lesefluß in Bereiche bildhafter Vorstellungen.
Zwischen Emanzipation und Assimilation
Verschiedenen jüdischen Künstlern wie Moritz Daniel Oppenheim,
Isidor Kaufmann oder Maurycy Gottlieb, die sich im Lauf des 19. Jahrhunderts
erstmalig einem breiteren Publikum zuwenden können, geht es um die Darstellung
jüdischen Lebens und dessen Gleichstellung zum christlichen. Ihre Kunst
dokumentiert den von Glaubensvorstellungen, Symbolen und den Worten der Thora
bestimmten Alltag. Auf der anderen Seite gilt ein Künstler wie Max Liebermann in
Deutschland bis heute als überragende nationale Leitfigur und Wegbereiter
moderner Kunstentwicklung.
Der Ausbruch aus dem Shtetl Osteuropas und die Neuschöpfung des Universums
Das Leben der modernen Metropolen eröffnet den Einwanderern
aus dem dörflichen Shtetl des Ostens Horizonte von ungeahnter Weite und bahnt
gerade auch neuen künstlerischen Entwicklungen den Weg. Leitfiguren des
sowjetischen Konstruktivismus wie El Lissitzky definieren ihre künstlerische
Positionen vor dem Hintergrund eines orthodoxen Mystizismus und verklären
gleichzeitig den Beginn eines neuen technischen Zeitalters. Im ständigen
Austausch der kulturellen Zentren der 20er Jahre - Moskau, Berlin und Paris -
ersinnen sie eine Wirklichkeit, die im Rückgriff auf elementare Formen, Farben
und Körper eine utopische Dimension gewinnen soll. Diese Haltung bestimmt die
Ideen der Künstler des Bauhauses und dessen Umfeld.
Die »jüdische Renaissance« in Berlin: Visionen um Apokalypse und
Erneuerung
Die »jüdische Renaissance« findet in Deutschland wesentlich in
Berlin statt und ist durch die zionistische Bewegung motiviert. Mit ihr blüht
die jüdische Kultur auf. Die Künstler suchen um die Jahrhundertwende Ansätze,
traditionelle jüdische Themen in moderner Formensprache zum Ausdruck zu bringen,
mit dem Ziel, der jüdischen Überlieferung eine gleichberechtigte Stimme in einem
vielstimmigen, global ausgerichteten Kulturkonzept zu verschaffen. Hierzu zählen
dem Expressionismus nahestehende Künstler wie Ludwig Meidner. Ein Schlüsselmotiv
ist das Thema der Apokalypse, das als Sinnbild einer umfassenden Erschütterung
und Erregung Raum für die Vision eines neuen Zeitalters schafft. Parallelen
finden sich im künstlerischen Millieu von Wien, zum Beispiel in den phantastisch
anmutenden Gestaltungen von Arnold Schönberg.
Jüdische Künstler als »Weltenbürger«: Abbildung, Deutung und Verfremdung
von Wirklichkeit
In der Zeit zwischen den Weltkriegen sind gerade zahlreiche
Künstler jüdischer Herkunft außerordentlich mobil, sie leben Weltenbürgertum
vor. Neben Berlin üben insbesondere Paris, London und New York eine
außerordentliche Anziehungskraft aus auf jüdische Einwanderer aus Ost- und
Mitteleuropa wie Marc Chagall oder Chaim Soutine. In der neuen Umgebung halten
die jüdischen Künstler schon wegen der gemeinsamen Kultur untereinander engen
Kontakt, doch in der Mehrzahl bleiben sie künstlerisch Individualisten (Amadeo
Modigliani, Else Lasker-Schüler u.a.), die mit künstlerischen Mitteln ihre
Position als Künstler bestimmen bzw. in Frage stellen. Trotz Emanzipation und
tendenzieller Akkulturation bleibt die Außenseiterstellung bestehen, die
durchaus auch als Gefährdung der eigenen Existenz empfunden werden kann.
Das Selbstbildnis
In der Vielfalt künstlerischer Positionen läßt sich allenfalls
die Bevorzugung bestimmter Themen, wie etwa die besondere Neigung zum
Selbstbildnis, als Bindeglied feststellen. Porträts und vor allem
Selbstbildnisse sind Leitmotive der Ausstellung, relativieren das Bildnisverbot.
In diese Reihe der Porträts fügen sich auch die eindringlichen Gesichter von
Opfern nationalsozialistischer Gewaltherrschaft ein, die von Leidensgenossen in
Konzentrationslagern porträtiert wurden und auf das unvorstellbare Grauen
verweisen.
Exil und Schoah
Schon in den 20er Jahren beziehen gerade jüdische Künstler
Positionen gegen Krieg, Gewalt und jegliche soziale Ausgrenzung, indem sie eine
kritische, politisch engagierte Kunst schaffen. Mit der Herrschaft des
Nationalsozialismus und der gezielten Vernichtung europäischer Juden werden auch
künstlerische Entwicklungen abgebrochen, Lebenswerke zerstört und ein immenses
Potential an Kreativität ausgelöscht. Das Erlebnis der Verfolgung durch die
Nationalsozialisten und die menschenverachtende Rassenideologie haben bei vielen
Künstlern jüdischer Herkunft ein tiefgehendes Mißtrauen gegen jede Art von
Nationalismus hervorgerufen. Soweit Künstler ihr Jüdischsein empfinden und zu
thematisieren suchen, zeigt sich dies in erster Linie in einem Gefühl des
kollektiven Leidens (Jankel Adler, Felix Nussbaum), das nach 1945 in sprachloses
Entsetzen mündet. Paradoxerweise hat jedoch die Barbarei des Nationalsozialismus
einen der größten Kulturtransfers zur Folge gehabt. Gerade bildende Künstler im
Exil bereichern die Kultur ihrer neuen Heimat. Dies gilt im besonderen Maß für
den jungen Staat Israel. Gleichermaßen aus traditionellen weltweiten Einflüssen
erwachsen wie stetig mit zeitgenössischen konfrontiert, bildet die israelische
Kunst eine besonders spannende Nuance in diesem internationalen Panorama. Hier
stellt sich inbesondere die Fragen, inwieweit das Israelische mit dem Jüdischen
gleichgesetzt werden darf. Auch die besondere, durch Konflikte und Gewalt
geprägte Lebenswirklichkeit schlägt sich in der israelischen Kunst nieder.
(Moshe Gershuni, Moshe Kupfermann, Michal Na¹amann, Michael Sgan-Cohen)
Katharsis und Neubeginn:
Moderne Ikonoklasmen
Die führenden Künstler des amerikanischen Abstrakten
Expressionismus (Barnett Newman, Mark Rothko, Adolph Gottlieb, Morris Louis,
Helen Frankenthaler u. a.) sind jüdischer Herkunft. In der Ausdehnung des
Farbfeldes bestimmt sich die Malerei als sakraler Raum und fordert eine nahezu
andächtige Aufmerksamkeit des Betrachters heraus. Sicherlich ist es - nach den
Erfahrungen der Shoah - auch eine grundsätzlichen Skepsis gegenüber den
Möglichkeiten bildhafter Wiedergabe. Die Frage nach der Darstellbarkeit des
Unfaßbaren wird aufgeworfen. Aus einer säkularisierten Position heraus wird hier
eine Bezugnahme auf das Bildnisverbot gesucht.
Erzählstrategien zwischen Ironie und Subversion
Der amerikanischen Abstraktion stellt sich in bewußter
Opposition die figurative Malerei der »London School« entgegen, vertreten durch
Lucian Freud und Leon Kossoff. Ihnen geht es vielmehr um die fast körperhafte
Vergegenwärtigung der Lebenswelt, die in ihrer ungeschönten Unmittelbarkeit eine
provozierende Eindringlichkeit behaupten können. Die Idee eines Bilderverbotes
gerät innerhalb der visuell geprägten Kultur der westlichen Warenwelt zur
Provokation. Im Kontext der Pop-art finden Künstler jüdischer Herkunft so einen
Versuchsraum, in dem die Redundanz der Bilder und Zeichen aufgenommen und das
Verhältnis von Kunst, Konsum, Propaganda und Wirklichkeit immer neu bestimmt
werden kann. (Alex Katz, Jim Dine) Das Hinterfragen und wechselseitige
Beleuchten vielfältiger Dimensionen des Zeichenhaften ist sicher auch auf die
besondere Tradition der Schriftenlehre im Judentum und der vielfältigen, teils
widersprüchlichen Ausdeutungen des Talmud zurückzuführen. Die Ausstellung
dokumentiert den kritischen und gleichzeitig spielerischen Umgang mit Zeichen-
und Bildsystemen (Grisha Bruskin, Daniel Spoerri) und leitet aus diesem
Zusammenhang Aspekte der Concept-art her (Sol LeWitt).
Zwischen Parteinahme und Distanz zum öffentlichen Leben
Die paradoxe Situation der Künstler jüdischer Herkunft
zwischen Normalität und Besonderheit vermittelt diesen ein geschärftes
Bewußtsein von Distanz zur Mehrheitsgesellschaft. In ihrer Suche nach
künstlerischer Identität und stilistischer Prägnanz formulieren verschiedene
betroffene Künstler wie Leon Golub und Nancy Spero unmißverständlich ein
politisch-gesellschaftliches Credo, in dem sie Ungerechtigkeit engagiert
ankreiden und den Betrachter selbst zum Handeln provozieren.
Zeitgenössische Perspektiven
Die vorurteilsfreie Verknüpfung unterschiedlicher Bewußtseins-
Sprach- und Bildebenen wird im zeitgenössischen Schaffen von Künstlern jüdischer
Herkunft zunehmend relevant. Aus jeweils gebrochenen Perspektiven werden
Geschichte, Gegenwart und Zukunft ins Blickfeld genommen und als Zerrbilder der
visionären Entwürfe des 20. Jahrhunderts entlarvt. (Anna Adam, Chohreh Feyzdjou,
Piotr Nathan, Penny Yassour u.a.)
Sowohl im Museum Bochum wie in anderen kulturelle Einrichtungen der Stadt Bochum
findet während der Laufzeit der Ausstellung ein umfassendes Rahmenprogramm mit
Film-, Theater- und Musikaufführungen, Lesungen und Vorträgen statt. Für das
Programm erscheint ein gesonderter Folder, es kann auch im Internet abgerufen
werden. Führungen können in englischer, französischer und russischer Sprache
vereinbart werden.
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des
Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Peer Steinbrück und
wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von:
- Kunststiftung NRW
- Sparkasse Bochum
- Stadtwerke Bochum
- Den Augusta-Krankenanstalten gGmbH
- Kunstverein Bochum e.V.
Anläßlich der Ausstellung präsentiert die Stiftung Pro Bochum
im Museum Bochum eine Sonderausstellung mittelalterlicher hebräischer
Bibelhandschriften aus der Bibliothèque Nationale de France, Paris.
Die Installation von Ira Marom wurde ermöglicht durch die
Laser Jet-Technologie der Firma Hewlett-Packard.
hagalil.com 09-10-03 |